Westfalenstadion Dortmund

Erst als die Stadt Köln Anfang der 70er Jahre auf einen Stadionneubau verzichtete, war der Weg frei für eine Dortmunder WM-Bewerbung 1974 und somit für den Bau eines neuen Stadions. Denn ohne die aus diesem Anlass bereitgestellte Bundes- und Landesmittel wäre das Westfalenstadion nicht zu finanzieren gewesen. Ohne dieses Stadion wäre der BV Borussia wohl nicht der erfolgreichste deutsche Fußball-Klub der 90er Jahre.

Die Lobeshymnen kamen aus berufenem Munde. Helmut Schön, der „Mann mir der Mütze“, war seinerzeit Bundestrainer und behauptete, dass „dieses Fußball-Stadion auf der Welt nur durch das Azteken-Stadion in Mexiko-City übertroffen“ werde.

Dieter Kürten schwärmte im „Aktuellen Sportstudio“ von einer „Arena, von der die Fans in aller Welt träumen“, und Wolfgang Overath, damals Mittelfeldstar des 1. FC Köln, stellte neidisch fest: „Diese Anlage hat nur einen Nachteil – sie steht nicht in Köln…“

Gegenstand dieser Lobeshymnen war das Neuerrichtete Dortmunder Westfalenstadion, am 2. April 1974 eingeweiht mit dem Spiel gegen Schalke 04. „Deutschlands Fußball-Oper“, stellte Werner Hansch (SAT.1) fest; „die Scala des deutschen Fußballs“, wie die Kollegen vom Radio ergänzen, wenn sie von diesem einzigartigen Fluidum an der Strobelallee schwärmen.

Die Nähe zum Spielfeld, die Akustik durch die fast komplette Überdachung, gepaart mit der einzigartigen Begeisterungsfähigkeit der Fußballfreunde im Revier – dies sorgt für eine knisternde Atmosphäre, die gelegentliche Besucher in ihren Bann zieht und die von den Gegnern gefürchtet wird wie das Weihwasser vom Teufel.

Planungen begannen bereits im Jahr 1961

Die Geschichte des Westfalenstadions reicht zurück bis ins Jahr 1961. Damals befasste sich der Sportausschuss erstmals mit der Erweiterung der „Kampfbahn Rote Erde“. Schon damals, zur Zeit des sich anbahnenden Strukturwandels, der einsetzenden Krise bei Kohle und Stahl, saß das Geld ebenso wenig locker wie heute. Deshalb gingen zehn Jahre ins Land, bis der Rat der Stadt am 4. Oktober 1971 den Bau des Westfalenstadions beschloss. Schneller war die Frage der Finanzierung nicht zu lösen gewesen.

Zurück ins Jahr 1965. Am 5. April, nach vier langen Jahren Diskussion um Erweiterung und Modernisierung der Roten Erde ja oder nein, nimmt der Haupt- und Finanzausschuss „die Anregung zur Kenntnis, nicht das Stadion Rote Erde auszubauen, sondern durch Einbeziehung der beiden westlichen Übungsfelder und geringfügiger Flächen des Luftbades ein neues Fußballstadion zu errichten“.

Die erste Hürde auf dem Weg zu einer neuen Arena, im offiziellen Sprachgebrauch „Zwillingsstadion“ genannt (weil parallel zur Roten Erde errichtet) ist genommen.

Die Finanzierung allerdings erscheint zu diesem Zeitpunkt noch unlösbar. Zwar erhält der Deutsche Fußball-Bund im darauf folgenden Jahr, 1966, den Zuschlag für die Ausrichtung der Weltmeisterschaft 1974 und winken den WM-Städten somit dicke Zuschüsse, die Pläne für eine in konventionelle Bauweise zu errichtende und damit rund 60 Millionen Mark teure Arena drohen indes zwischen 1967 und 1969 wieder in den Schubladen zu verschwinden. Trotz der eindeutigen Ratsbeschlüsse untersucht die Verwaltung immer wieder die Möglichkeit des Ausbaus der vorhandenen Anlage in der Hoffnung, Kosten zu sparen. Am 27. November 1969 drängt der Hauptausschuss auf eine „entscheidungsreife Alternative für den Bau des Zwillingsstadions“.

Rüttels rettender Einfall

Sportdezernent Erich Rüttel gelingt im Mai 1970 mit seinem Vorschlag, das Stadion als Fertigbausystem in Palettenbauweise nach dem Vorbild der kanadischen Olympiastadt Montreal zu errichten, der entscheidende Durchbruch.

Die Kosten halbieren sich, ursprünglich sind 27 Millionen Mark im Gespräch. Nach Abschluss der Bauarbeiten werden es nur sieben Millionen mehr sein. Bereits fünf Monate darauf, am 19. Oktober, erteilte der Rat diesen Plänen grünes Licht und beschließt knapp ein Jahr später, am 4. Oktober 1971, den Bau des Westfalenstadions.

Die Kosten von 34 Millionen Mark werden zu über 80 Prozent durch Bund, Land, „Glücksspirale“ und Spenden gesenkt. Die Stadt trägt von dieser Summe gerade einmal sechs Millionen Mark (und partziert dafür zu 100, statt bislang zu 50 Prozent an den Einnahmen der Bandenwerbung), weil sie noch rechtzeitig erkennt, das die WM 74 eine wohl einmalige Chance bietet, ein taugliches Stadion für die Zukunft zu errichten.

Denn: ohne WM-Zuschlag keine Fördermittel. Zumal die provisorische Tribüne in der Südkurve der Roten Erde bereits Schäden aufweist, wie es in einem internen Papier des Planungsausschusses vom 19. August 1971 heißt: „Nach Abbau dieser Tribüne verringert sich das Fassungsvermögen auf 25.000 Plätze“.

56.000 Zuschauern soll dagegen das Westfalenstadion Platz bieten. Nach Fertigstellung sind knapp 54.000, davon allerdings nur 17.000 Sitzplätze. Das der Großteil (47.000) der Plätze überdacht ist, wird vom damaligen Präsidenten des BVB, Heinz Günther, besonders gewürdigt. Es biete auch „dem kleinen Mann ein Dach über den Kopf“. Seinerzeit keine Selbstverständlichkeit.

Plattenbauweise und Kompromisse

Neuartig ist zudem die Plattenbauweise. Eine Grundeinheit (Platte) besteht aus zwei Fertigteil-Stützpaaren, zwei Fertigteil-Binderpaaren und den Fertig-Tribünenstufen. Geplant und umgesetzt werden 22 Platten. Die recht preisgünstige Errichtung (der Umbau des Düsseldorfer Rheinstadions ist mit 42,2 Millionen Mark teurer als der Neubau des Westfalenstadions) lässt sich nur durch drei weitere einschneidende Kompromisse erklären:

– Gegenüber den DFB-Forderungen verzichtet man auf weitere 16.000 Plätze, weil diese unverhältnismäßig teuer werden, „da sie eine bedeutend schwerere und höhere Konstruktion für die Tribünen“ notwendig machen.- Die Ecken bleiben trotz „ästhetischer Bedenken“ offen, damit das Fertigbausystem konsequent durchgezogen werden kann.

– Das Dach wird entgegen der DFB-Wünsche alle 21 Meter durch einen Pfeiler abgestützt. Ersparnis: 7 Millionen Mark.

Eine interessante Parallele zur Roten Erde: Auch das Westfalenstadion erlebte zwei Eröffnungen. Die erste ging am 2. April 1974 mit dem Freundschaftsspiel des BVB gegen Schalke 04 über die Bühne, am 17, April wurde es dann „offiziell“: der DFB feierte die damalige Super-Arena mit dem Länderspiel und der Neuauflage des 54er WM-Finales gegen Ungarn.

WM-Begeisterung übertrug sich auf BVB

Zaire, Schottland, Schweden, Brasilien und Vizeweltmeister Holland bestritten im Westfalenstadion ihre Vorrundenspiele – Dortmund lag plötzlich wieder im Fußball-Fieber. Jene Begeisterung, die in den glorreichen 50 er und 60 er Jahren geherrscht hatten, flammten während der WM-Tage wieder auf und übertrugen such auch auf die Spiele in der zweiten Bundesliga.

Nicht selten mehr als 45.000 Fans und damit rund dreimal so viele wie kurz zuvor noch in der Roten Erde pilgerten plötzlich wieder zum BVB, der von diesem Stadion in großem Maße profitierte. Zwei Jahre später, im Juni 1976, kehrte Borussia in die höchste deutsche Spielklasse zurück und feierte 1983, nach 15jähriger Abstinenz, das Comeback auf europäischer Ebene.

Nur ein einziger Fußballer dürfte in diesen 22 Jahren wirklich schlechte Erfahrungen in der Arena an der Strobelallee gemacht haben: der Braunschweiger Danilo Popivoda. Das ganze passierte im Jahre 1977, als Würmer den Rasen, der diese Bezeichnung kaum mehr verdient, befallen hatte.

Povivoda stand fünf, sechs Meter frei vor dem Dortmunder Gehäuse, holte aus zum Torschuss und rutschte samt Rasen, der keinen Halt mehr fand in den angefressenen Wurzeln, weg, landete auf der Nase, und der Ball blieb vor der Torlinie liegen. Borussia gewann stattdessen mit 1:0…

Chronik eines Stadions

1974 wurde das Westfalenstadion in seiner ursprünglichen Form mit knapp 54.000 Plätzen eingeweiht.

Die Planung im Zeitraffer:

5. April 1965: Die Gremien der Stadt neigen zu einem Stadion-Neubau statt zu einer Erweiterung der Kampfbahn „Rote Erde“.

Juli 1966: Der Deutsche Fußball-Bund erhält den Zuschlag für die Austragung der Weltmeisterschaft im Jahre 1974.

Oktober 1967: Dortmund erwirbt sich erstmals als Austragungsort für die WM 74.

April 1970: Nach verschiedenen Anhörungen kommen Fakten auf den Tisch: in konventioneller Bauweise soll die neue Arena rund 60 Millionen Mark kosten.

Mai 1970: Sportdezernent Erich Rüttel hat den goldenen Einfall: Er schlägt eine Errichtung in Plattenbauweise vor. Voraussichtliche Kosten: nur noch 27 Millionen Mark.

19. Oktober 1970: Grundsatzbeschluss: Der Neubau wird in Plattenbauweise errichtet.

4. Oktober 1971: Der Rat der Stadt beschließt den Bau des Westfalenstadions.

18. Oktober 1971: Der erste Spatenstich.

Mai 1972: Stadt und DFB vereinbart die Austragung von vier WM-Spielen an der Strobelallee 30 März 1973: Richtfest.

2. April 1974: Das Westfalenstadion wird mit dem Klassiker zwischen dem BVB und Schalke 04 eingeweiht. 15 Tage später das erste Länderspiel (gegen Ungarn).

Die Kosten

Am 29. April 1971 veranschlagte die Stadt Dortmund für den Neubau des Westfalenstadions eine Summe von 32 Millionen Mark, zusätzlich 2,3 Millionen Mark für Lohn- und Materialkostensteigerung. Die Kalkulation ging voll auf, die Arena kostete tatsächlich 34 Millionen Mark und belastete den Stadtsäckel nur mit sechs Millionen Mark – einschließlich des Umbaus der Kampfbahn Rote Erde in ein Leichtathletik-Stadion.

Die veranschlagten Kosten 1971

Erweiterter Rohbau 21.445.000,- DM

Ausbaukosten 8.555.000,- DM

Zusatzarbeiten 350.000,- DM

Renovierung des Luftbades 150.000,- DM

Instandsetzung „Rote Erde“ 1.500.000,- DM

Gesamtkosten des Stadions 32.000.000,- DM

„Ein Tag der Freude“

50.000 erleben die Einweihung des neuen Westfalenstadions

„Dortmund mit seinem Westfalenstadion muss wieder Fußball-Hochburg werden“, wünschte Oberbürgermeister Günter Samtlebe, als er gestern Abend vor einer gewaltigen Zuschauerkulisse vor rund 50.000 Menschen das neue Stadion seiner Bestimmung übergab. Ein Wunsch, dem die Zehntausende auf den Rängen – an diesem „Tag der Freude“, so der OB – begeistert zustimmten. Das war schon eine Bombenstimmung in der von Flutlicht Taghell erleuchteten Arena, so, als würde Borussia wie einst wieder nach dem Europacup greifen.

„Wir werden uns bemühen Ihrem Appell zu folgen“, versprach BVB-Präsident Heinz Günther, als er der Stadt für den Stadionbau dankte. Dann konnten sich die Fußballfreunde der 76. Auflage des einstigen Revierschlages BVB – Schalke erfreuen. Erstmals stieg eine gewaltige Beifallswoge in den nachtblauen Himmel.

Die Dortmunder konnten es kaum erwarten, von ihrem Stadion Besitz zu ergreifen. Bereits um 15 Uhr hatte sich die erste Besuchergruppe vor den noch verschlossenen Toren eingefunden. Punkt 16.30 Uhr zogen die ersten Trupps die steilen Ränge empor.

Wie sich in dem gewaltigen Stadionviereck heiße Fußballatmosphäre entfalten kann, wurde schon deutlich, als die Damenmannschaft von Mengede und Waltrop aufeinander trafen und Margret Schäferhoff von Mengede das erste Tor im neuen Stadion schoss.

Schon früh wurde auf den Tribünen die schwarz-gelben Fahnen geschwenkt, erklangen die ersten Sprechchöre wie in den großen Zeiten. Sie sollten an diesem Abend nicht verstummen. Nicht das Spiel allein war es, das die Fußballfreunde fesselte: Das Stadion zog jeden in seinen Bann. Da vergaß ein Besucher aus Bekkum sogar, den Motor seines Wagens abzustellen. So fieberte er der Begegnung mit Dortmunds neuester Attraktion entgegen.

Und jeder, der erwartungsvoll einen ersten Blick in das Viereck aus Beton und Stahl tat, hielt die Luft an: „Einfach toll!“ Das war der meist geäußerte Kommentar am gestrigen Abend. Darauf wurde dann erst einmal 1,50 DM ein Bier zur Brust genommen.

Für die Polizei und den Ordnungsdienst brachte der Eröffnungstag die erste Generalprobe für die bevorstehenden WM-Tage. Einhellige Kommentare: „Alles lief reibungslos.“ Die sorgfältige Generalstabsarbeit der letzten Wochen machte sich bezahlt.

Quelle: Borussia Dortmund